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Burigana verfolgt mit der vorliegenden Studie ein Thema weiter, welches er schon in seiner äußerst umfangreichen Florentiner Dissertation von 1993, veröffentlicht einige Jahre später [1], angenommen und

Burigana verfolgt mit der vorliegenden Studie ein Thema weiter, welches er schon in seiner äußerst umfangreichen Florentiner Dissertation von 1993, veröffentlicht einige Jahre später [1], angenommen und seither in etlichen Aufsätzen ausgespannt hat [2]. Arg verkürzend gesagt, geht es ihm dabei um zweierlei Anliegen. Zum einen bietet er eine Auseinandersetzung mit der in der Historiographie geläufigen Ansicht, daß der französisch-sowjetische Beistandspakt vom 2. Mai 1935 praktikabel erst mit einer entsprechenden Militärkonvention geworden wäre [3] und mit deren Ausbleiben eine gewissermaßen singuläre Chance zur Eindämmung der deutschen Herausforderung vertan wurde. Zum anderen versucht Burigana einen exemplarischen Nachweis der Bedeutung rüstungswirtschaftlicher Beziehungen und, viel mehr noch, militärtechnologischer Transfers fü die Geschichte bi- wie multilateraler Bündnis- und Sicherheitspolitik zu führen. Diese Ansätze werden in zwei großen Schritten verfolgt, erstens in der Untersuchung der geheimen und gar ultrageheimen, gelegentlich aber doch öffentlich gleich bekannt gewordenen oder gezielt bekannt gemachten, wechselseitigen militärwirtschaftlichen und technologischen Anknüpfungen zwischen der Sowjetunion und insbesondere Frankreich, aber auch Italien und Großbritannien 1933 (S. 27-183), zweitens in der Einordnung dieser Vorgänge in ein weites historisches Tableau, reichend von der Nachzeichnung der sowjetrussisch-deutschen militärischen Kooperationen seit 1919/20 (S. 187-224), genauso gewichtig der Kontaktaufnahmen der russischen Agenten, Militärs und Diplomaten mit dem faschistischen Italien namentlich wegen moderner Seekriegstechnologien seit 1929 (S. 224-254 und dann passim) [4] bis hin zu denen mit den USA und mit Spanien 1933/34. Die von Burigana in streckenweise geradezu verwirrender Detailversessenheit [5] vor allem an französischem und italienischem Material nachgewiesene Massivität der sowjetrussischen Begehrlichkeiten und entsprechenden Missionen zwingt jedenfalls dazu, diese Seite als gewichtiges Moment der generellen Außenpolitik des seit 1930 amtierenden Außenkommissars Maxim Litwinows viel stärker als bisher zu beachten, als Triebkraft einer fundamentalistischen antikapitalistischen, antiimperialistischen Überlebensstrategie, begonnen längst vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, welche dann freilich zweckgerecht besonders gegenüber den besorgten französischen Regierungen taktisch ins Spiel eingestellt worden ist. Deshalb aollte allerdings die Bedeutung der offiziell auf dem siebten Kominternkongreß 1935 beschlossenen gleichsam doppelten, nämlich nationalen wie internationalen Volksfrontstrategie als wesentliche politische Linie nun nicht umgekehrt gänzlich herabgesetzt werden, insbesondere dann nicht, wenn man wie Burigana keinerlei russische Archivalien und kaum sonstige russische Quellen herangezogen, fast keine russische Literatur beachtet [6] und obendrein über 1934, erst recht über 1935 hinaus nur noch dünne Recherchelinien verfolgt hat. Plausibel indessen ist, daß gerade die Massivität der sowjetrussischen Bemühungen um die Überlassung oder den Ankauf moderner Kriegstechnologie unter französischen Militärs und Militärfachleuten die Auffassung geweckt bzw. Bestärkt hat, daß die UdSSR kaum verteidigungs- geschweige denn offensivfähig wäre und folglich eine Militärkonvention keinen Nutzen, vielmehr eine schwerere Belastung bringen könnte. Im Herbst und Winter 1939/40, angesichts noch größerer und druckvollerer sowjetrussischer Forderungen nach Transfers von modernen Waffwntechnologien und Kriegsgütern, haben deutsche Fachleute ähnliche Schlußfolgerungen in Bezug auf Ausrüstung und Einsatzbereitschaft der Roten Armee gezogen. [1] David Burigana, “Que devons-nous faire?”. I militari francesi e l’idea di una Alleanza franco-sovietica (1930-34), 4 Bde., Florenz 1996.[2] Vgl. u.a. David Burigana, “La Grande illusion...”. Una nuova pista di interpretazione storiografica: l’Unione Sovietica in cerca di tecnologia militare (1926-39). In: Massimiliano Guderzo und Matteo Luigi Napolitano (Hrsg.): Diplomazia delle risorse. Le materie prime e il sistema internazionale nel Novecento. Atti del convegno di Urbino, 11-12 dicembre 2001, Florenz 2004 (Storia delle relazioni internazionali, Bd. 6), S. 39-60; ders., Les rapports politico-stratégiques franco-soviétiques (1930-34): une alliance manquée? In: Cahiers du Centre d’Etudes d’Histoire de la Défense (Vincennes), Nr. 3, 1997.[3] Vgl. Gottfried Niedhart, Internationale Beziehungen 1917-1947, Paderborn 1989, S. 115. Für die französische Debatte vgl. Zuerst Maurice Vaïsse, Sécurité d’abord. La politique française en matière de désarmement (9 décembre 1930-17 avril 1934), Paris 1981; ders. Und Jean Doise, Diplomatie et outil militaire (1871-1991), Paris 1992.[4] Erinnert sei an den politischen Höhepunkt solcher Annäherungen, an den in der allgemeinen Literatur nur selten erwähnten italienisch-sowjetrussischen Nichtangriffspakt vom September 1933 und an den nachherigen Italienbesuch Litwinows.[5] Deshalb vermisst man, wie so oft in der italienischen Historiographie, präzise Formulierungen von generellen und partiellen erkenntnisleitenden Fragen sowie konzise Zussammenfassungen hier erst recht. Desgleichen vermisst man eigentlich technikgeschichtliche Erläuterungen wenigstens im Hinblick auf die die sowjetrussische Seite besonders interessierenden Konstruktionen sowie nachhaltige Einordnungen des betriebenen Aufwands in die größeren Zusammenhänge staatlicher Außenwirtschaftspolitik.[6] Dass da inzwischen auch lange verschlossene Monskauer Archivbestände erreichbar geworden sind, zeigt etwa die Dissertation von Oleg Kashirskikh, Die deutsch-sowjetischen Handelsbeziehungen in den Jahren 1924-1932. Deutschlands Rolle im außenwirtschaftlichen Integrationsbestreben der Sowjetunion, Frankfurt 2006, für ein nicht allzu entferntes Forschungsfeld. Ähnliche Defizite begegnen in Buriganas Konstruktionen der deutschsowjetrussischen militärischen Kooperationen und deren politischen Umfeldes: Unter anderem sind die Monographien von Mühle (1995), Niclaus (1966), Müller (1984), Beitel/Nötzold (1979), Boetticher (1979), Weingartner (1970) unberücksichtigt geblieben.
Data recensione: 07/05/2008
Testata Giornalistica: Franz Steiner Verlag
Autore: Walther L. Bernecker